Samstag, 2. Dezember 2017

"Die Alchimistin" von Kai Meyer

"Der Kessel stand inmitten einer Unzahl von Apparaturen, vielerlei Glaskolben in den bizarrsten Formen, manche mit Rohren und Schläuchen verbunden. Destillierkolben und unerklärliche Gerätschaften, Töpfe, Waagen und Fläschchen, Gläser mit bunten Flüssigkeiten, Überreste von Pflanzen und sogar der ausgenommene Kadaver eines Leguans - all das war rund um den Kessel auf Tischen und Hockern, in offenen Schränken und Regalen aufgereiht. Das Laboratorium befand sich nicht unterhalb des Glasgiebels, sondern in einer Art gemauerter Höhle, die an die Westwand des Speichers grenzte. Sie besaß drei Wände und ein Dach, die zum Garten gelegene Seite war offen. Die Wärme, die den Pflanzen das Wachstum ermöglichte, war offenbar ein Nebenprodukt des Kesselfeuers. Jenseits der Apparaturen, in der Rückwand des Laboratoriums, gab es eine Holztür, so niedrig und schmal, dass Christopher nur gebückt hätte hindurchtreten können. Für Nestor galt wohl oder übel dasselbe - er war trotz seines Alters und des leicht gekrümmten Rückens keine Handbreit kleiner als Christoph, weit über eins achtzig. Auf einem Wandbrett neben dem Feuer standen mehrere Flaschen, deren Aufschriften so groß waren, dass Christopher sie sogar aus der Entfernung lesen konnte.  Merkwürdige Worte waren das: Hyle stand da, daneben Azoth. Auf einer Flasche las er Ros coeli, auf einer anderen O potab. Eine fünfte lag zerbrochen am Boden, das Etikett klebte noch an den Scherben: Sang, und darunter das Symbol einer Schlange oder eines Lindwurms. Nestor hatte derweil den Druck des Kessels mit Hilfe eines Rades am Abzugsrohr reguliert. Auch das Feuer loderte nun wieder zu seiner Zufriedenheit. Mit schweißnassem Gesicht wandte er sich abermals Christoph zu."


Auf einer kleinen Insel in einem Schloss in der Ostsee lebt die wohlhabende Familie Institoris. Als Charlotte Institoris den jungen Christopher adoptiert und zu ihrer Familie auf das Schloss bringt, merkt er schnell, dass dies keine gewöhnliche Familie ist. Charlotte, Mutter und Schlossherrin, scheint ein Geheimnis mit sich zu tragen. Ihre Tochter Aura und ihr Stiefbruder Daniel begegnen ihrem neuen Stiefbruder mit Ablehnung. Die jüngste Institoris, die kleine Sylvette, ist jedoch ein liebenswürdiges kleines Kind, die Christopher schnell ins Herz schließt. Doch sein neuer Stiefvater, Nestor Institoris, schließt sich Tag für Tag auf dem Dachboden in seiner "Hexenküche" ein und lässt sich Tage, sogar Wochenlang nicht blicken. Dies scheint jedoch niemanden zu stören. Unerlaubt schleicht Christopher sich eines Nachts in das Reich seines Stiefvaters und wird von ihm unerwarteter Weise in die Künste der Alchimie eingeführt. Schnell begreift Christoph, dass es seinem neuen Vater um den Stein der Weisen geht. Doch eines Nachts dringt ein Fremder in das Schloss und ermordet Nestor.  Bei dem Mörder handelt es sich um Gillian, einen Hermaphroditen und Auftragsmörder, der von Nestors ältestem Rivalen, Lysander, geschickt wurde. Gillian wurde zudem beauftragt, Nestors Tochter Aura zu töten, die sich aber längst auf dem Weg in ein Mädcheninternat in der Schweiz befindet. Dort wird sie Zeugin grauenhafter Mädchenmorde, doch niemand will ihr glauben. Auch im Schloss entstehen immer mehr Geheimnisse, alte Geheimnisse werden aufgedeckt und plötzlich befinden sich alle in Lebensgefahr. 

Meine Meinung zu dem Buch:
Zu Beginn hatte ich die Erwartung, die Geschichte drehe sich um den adoptierten Christopher. Da die Geschichte mit ihm begann und anfangs viel von ihm zu lesen war, ist der Gedanke sicher nachvollziehbar. Schnell stellte sich jedoch heraus, dass es sich in Wirklichkeit um Aura Institoris dreht. Aber wieso genau, findet man doch erst später heraus. Doch das ist absolut nichts Schlechtes. Schon von Anfang an hat mich die Geschichte gefesselt. Ich konnte mir jederzeit wunderbar vorstellen, wie die einzelnen Charaktere aussahen und lebten. Das Schloss der Familie Institoris mit all seinen geheimen Tunneln, dunklen Gängen, dem Piratenfriedhof und dem alten Leuchtturm, vor allem das Labor des Alchimisten Nestor konnte ich mir äußerst lebhaft ausmalen! Kai Mayer hat es mit seiner Schreibweise sehr leicht gemacht, sich in die Geschichte hineinzuversetzen. Mayer hat sich sichtlich bemüht, eine kreative Geschichte mit viel Spannung und Überraschungen zu schreiben. Das ist ihm auch mehr als gut gelungen. Was mich am meisten fasziniert hat, waren seine Recherchen für das Buch. Im Epilog/ Anhang des Buches wird aufgeführt, wie er zu all den Fakten kam, was die in dem Roman genannten geschichtlichen und alchemistischen Fakten für Hintergründe beinhalteten. Er hat geschichtliche Fakten bezüglich der Tempelritter miteingefädelt, was in diesem Roman sehr relevant war. Auch die Verbindung der Tempelritter mit der Alchemie wurde wunderbar erläutert! An manchen Stellen wurde es mal kurz etwas kompliziert, aber gleichzeitig war es auch faszinierend!
Zarte Gemüter muss ich vor diesem Buch jedoch warnen: es geht recht brutal zu. Viel Blut wird vergossen, es ist oft von Inzest die Rede und regelmäßig stirbt jemand auf mehr oder weniger grausame Weise.
Alles in allem fand ich "Die Alchimistin" super! Spannend, aufregend, interessant. Ich merkte oft bei Kampfszenen, wie ich selbst total angespannt war und immer schneller las vor Aufregung! Zwar konnte ich nie wirklich für einen Charakter Sympathie entwickeln, dennoch fand ich die Geschichte einfach faszinierend und aufregend. Ich habe vor, mir bald den zweiten Band der Trilogie zu holen und kann es kaum erwarten herauszufinden, was als nächstes passieren wird.