Sonntag, 15. November 2020

"SAKURA Die Vollkommenen" von Kim Kestner

 



(© Bild Arena Verlag)
(Unbezahlte Werbung)

Prinz Haruto... Ein Sprichwort hier unten heißt: Du glaubst wohl noch an den Zuckerblütenprinzen. Es bedeutet so viel wie, dass man, ohne Nachzudenken, einfach alles glaubt. Da es von Yamamoto mehr Bilder gibt, als uns lieb ist, von seinem Sohn, dem Prinzen, aber noch nie jemand eins gesehen hat, glauben nur Kinder daran, dass es ihn wirklich gibt. Trotzdem feiern die Leute ihn. Denn jedes Jahr am Geburtstag des angeblichen Prinzen lässt uns der Kaiser gezuckerte Blüten von der Decke rieseln.
Keine Ahnung, wie es auf den anderen Ebenen ist, aber hier unten wird es zu einem Schlachtfeld. Zuckerblüten sind neben Pushs das wertvollste Tauschgut und die Hungernden trampeln dafür alles nieder. Oder töten sogar. Der Geburtstag des Prinzen ist der einzige Tag im Jahr, an dem wir nicht arbeiten müssen. Der einzige, an dem ich meinen Unterschlupf nicht verlasse. Als der Händler auf mich zustrauchelt, um mir den Kaiser unter die Nase zu halten, fauche ich, er könne ihn sich dahin stecken, wo es noch dunkler ist als hier unten. Der Kerl ist besoffen wie eine Fliege im Sake.


Juri lebt zusammen mit viel zu vielen anderen Menschen unter der Erde auf Ebene 1. Die sogenannte Höhle weit unter der Erde strotzt vor Hunger, Armut, Krankheit und Tod. Jeder Tag ist ein Kampf ums Überleben. All diese Menschen leben hier, da sie Nachfahren des Gottes Susanoo sind und für eben diesen für alle Ewigkeit büßen müssen, während die Nachfahren der Göttin Amaterasu direkt unter der Sonne leben und nie Hunger leider müssen. Doch eines Tages passiert das, was niemals jemand für Möglich gehalten hätte: es gibt eine Möglichkeit, aus der Höhle zu entkommen und unter der Sonne zu leben. Juri schafft es, sich als Mann verkleidet unter die Probanden zu schmuggeln, welche dafür in Frage kommen. Doch der Weg, der vor ihr liegt, ist hart und steinig. Ob Mann oder Frau, jeder der Auserwählten muss drei Proben bestehen um zu beweisen, dass er oder sie vollkommen ist und würdig ist, unter Amaterasus Nachfahren unter der Sonne zu leben. Juri sieht hierin ihre einzige Chance, weiterzuleben. Doch die Proben und Aufgaben, die sie bewältigen müssen, sind extrem gefährlich und hart. 


Meine Meinung:
Der Einstieg in die Geschichte hat mich zuerst etwas überfordert, da ich mitten ins Geschehen reingeworfen wurde. Aber schnell konnte ich mir ein Bild von dieser Welt machen, in der Juri leben muss. Schnell wurde mir klar, dass diese Geschichte beherrscht wird von einer gewissen strengen Hierarchie und Juri befindet sich ganz ganz unten. Sie gehört quasi zum Abschaum der Menschheit, der für die Gesellschaft kaum von Nutzen ist. Während des Lesens habe ich eine vollkommen neue, andere Welt kennengelernt. Die Geschichte spielt in unserer Welt aber viele hunderte von Jahren in der Zukunft. Eine Dystopie, also eine fiktionale, in der Zukunft spielende Erzählung. 
Schnell war ich gefesselt von dieser Welt, die so anders und so grausam ist. Juri kämpft jeden Tag um ihr Leben, gegen den Hunger, gegen Krankheiten und den Tod. Es wird schnell spannender und aufregender, als sich ihr eine Möglichkeit bietet um all dem zu entkommen. Ich habe das Buch nicht mehr weglegen können als es schließlich soweit kam, dass sie sich als Mann ausgegeben hat um aus dieser Hölle zu entfliehen. 
Die Autorin schafft es, auf unkomplizierte Weise eine vollkommen neue Welt zu erschaffen und den Leser total zu fesseln. Auch beeindruckend fand ich, dass Kim Kestner alles an die japanische Kultur angelehnt hat, was mich persönlich noch mehr angesprochen hat. 
Die Handlungen nehmen schnell Fahrt auf und es wird von Kapitel zu Kapitel spannender. Auch erfreulich ist, dass es absolut keine kitschige Liebesgeschichte gibt, die hier Fehl am Platz wäre. 
Alles in allem ist das Buch absolut spannend, prägnant und immer gut auf den Punkt gebracht ohne unnötige Schwafeleien. Bei den letzten Kapiteln befürchtete ich, dass die Autorin niemals ein zufriedenstellendes Ende auf so wenig Seiten bringen könnte, aber ich habe mich geirrt. Das Ende war zufriedenstellend und kam nicht zu plötzlich. Ich empfehle diese Buch auf jeden Fall weiter. 

Sonntag, 10. Mai 2020

"Prinzessin Insomnia & der alptraumfarbene Nachtmahr" von Walter Moers

"In der Grotte war es still, doch wenn man genau hinhörte, vernahm man ein unterschwelliges Dröhnen und Rauschen wie  aus einer ans Ohr gepressten Muschel. Dylia lauschte andächtig. Dies war das grandiose Schweigen eines gewaltigen Erinnerungsraums, der Hall eines Mausoleums der wichtigen Dinge. Ihrer wichtigen Dinge!
Gepflegte und erwartungsfrohe Spannung lag in der Luft wie in einem Opernhaus kurz vor der Vorstellung.  Und bei aller Größe kam ihr dieser Raum weder beängstigend noch einschüchternd vor. Dylia fand ihn einfach nur schön und geschmackvoll, auch wenn die Innenarchitektur und Dekoration offensichtlich von einer Spinne stammten. Die tausendfachen Fäden des Netzes spannten sich vom weitgestreckten graugrünen Boden hinauf und schienen sich in einem Punkt der Decke, die sich irgendwo im Dunkel verlor, zu sammeln.
Das ganze Netzwerk wirkte dadurch wie ein monumentales Zirkuszelt aus lauter bunten und glitzernden Punkten. Oder wie ein märchenhafter Zauberberg aus farbigen Mineralien. Zigtausende, vielleicht sogar Millionen Splitter funkelten in einem Licht, das von überall und nirgens herzukommen schien. Wie von hunderten unsichtbaren Kerzen."





Die Königstochter, Prinzessin Dylia, kann nicht schlafen. Seit 18 Tagen hat sie kein Auge zugetan, dank ihrer Krankheit. Ihr Rekord lag bei 4 Wochen. Niemand in ganz Zamonien mag etwas gegen ihre Krankheit ausrichten zu können. Also macht sie Nacht für Nacht das Beste daraus. Um nicht dem Wahnsinn zu verfallen, denkt Dylia sich immer wieder neue Worte aus. Fantastische Worte, abstrakte Worte, kaum auszusprechende Worte. Doch eines Nachts scheint sie den Verstand verloren zu haben, als plötzlich ein Nachtmahr auf ihrer Brust sitzt und ihr das atmen erschwert. Solch eine Gestalt kann nur ihrem Verstand entsprungen sein, denkt sich die Prinzessin. Doch Havarius Opal, wie sich der Nachtmahr vorstellt, scheint real zu sein. So real wie Prinzessin Dylia, so real wie ihre Krankheit. Der Nachtmahr ist ihr erschienen, um sie um den Verstand zu bringen, ja sie sogar in den Wahnsinn zu treiben, offenbart er ihr.  Denn das ist sein Beruf. Opal bietet Dylia eine letzte Reise in ihr Hirn an, bevor er sie dem Wahnsinn verfallen lässt, wenn sie sich nicht sogar vorher schon aus dem Fenster in den Tod stürzen möchte. Dies sei schließlich die einfachste Methode und würde ihm eine Menge Arbeit ersparen. Früher oder später würde sie schon springen, das garantiert er. Doch der Nachtmahr kennt Dylia nicht, mit ihrem starken und schnellen Verstand, ihrem extremen Selbstbewusstsein und der Fähigkeit, quasi keine Angst zu versprüren. Um herauszufinden, wie sie diese Gestalt los wird, um Zeit zu gewinnen und aus großer Neugierde willigt Dylia ein und die beiden treten eine lange und gefährliche Reise in Dylias Gehirn an. Ziel der Reise ist das "dunkle Herz der Nacht". Solch eine Reise durch das Gehirn beinhaltet mehr Gefahren, als man meint. Doch der Nachtmahr hat nicht mit Dylias List gerechnet, ganz zu schweigen von seinen eigenen Gefühlen. Und so erleben die beiden das Abenteuer ihres Lebens.


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Meine Meinung:
Gleich zu Beginn merkt man, hier liegt wieder ein typischer Moers vor. Er spielt mit der deutschen Sprache, verändert sie, erfindet neue Worte. Und das nicht zu wenig. Unernmüdlich tauchen neue Fantasieworte auf sowie bereits bekannte Worte die verdreht wurden. Die ersten Seiten lockten mit der Vorstellung der Prinzessin, ihrer Krankheit und ihren Methoden, damit umzugehen. Für mich wurde es leider schnell trocken und schleppend, mich durch so vielen neue oder umgestellte Worte durchzubeißen, die die Handlung nicht gerade vorantrieben. Teilweise waren es ermüdende Aufzählungen/ Nennungen der Worte, die ich irgendwann begann zu überfliegen. Mir schien das etwas zu viel des Guten zu sein. Trotzdem wartete ich gespannt darauf, wann der Nachtmahr endlich seinen Auftritt hatte und wie sich die Geschichte dadurch entwickeln würde. Ich muss zugeben, dass ich die Seiten bis zum Auftritt des Nachtmahrs irgendwann nicht mehr aufmerksam las. Silbenverdrehungen hier, Anagramme da, so sieht der Verstand der Prinzessin aus. Das lernte ich auf gut 50 Seiten, die meiner Ansicht nach nett und fantasievoll formuliert waren, aber sie hätten gerne kürzer sein können. Zugegeben, man konnte nun behaupten, den Verstand der Prinzessin sehr gut zu kennen. Doch unterhaltsam war das für mich leider nicht.
Dann aber endlich der Auftritt des Nachtmahrs. Das Lesen bis hier hin hatte sich nun ausgezahlt, denn jetzt begann es, spannend zu werden. Gebannt verfolgte ich die frechen, schlagfertigen Dialoge zwischen Nachtmahr und Prinzessin, war gespannt auf die Reise. Wann liest man schonmal etwas über eine Reise in ein Gehirn? Und so wie ich die Prinzessin bisher hatte kennenlernen dürfen war von vornherein klar, dass das keine gewöhnliche Reise würde. So viel Spannung, so viele fantastische, faszinierende Wesen und Gegenden, ich habe es verschlungen. Moers hat wieder seine ganze Fantasie aufgebracht und die seltsamsten Kreaturen erfunden. Keine Langeweile kam mehr bei mir auf während ihrer Reise. Statt auf eine Achterbahnfahrt mit viel Action sollte man sich beim Lesen jedoch auf einen nachdenklichen Spaziergang einstellen. So viele Farben, Wesen, Gedanken, Orte... Wie eine Traumreise, gemischt aus guten und schlechten Träumen. Die Gedankenwelt allein fesselt den Leser aber nicht, sondern die Konversationen und die Entwicklung der Beziehung der Prinzessin und des Nachtmahrs lassen Spannung entstehen. Zudem hat man immer im Hinterkopf, dass Dylia irgendwann dem Wahnsinn verfallen soll. Wie soll das geschehen? Und wann? Und wird sie es schaffen, dass es nicht soweit kommt? Wird sie den Nachtmahr wieder los ohne dafür ihr Leben lassen zu müssen? Was wird passieren? Das Ende war für mich nicht einmal zu erahnen. Es war unvorhersehbar aber doch etwas knapp und für mich nicht sehr zufriedenstellend. Allerdings wüsste ich auch nicht, wie man es hätte besser machen können.