Samstag, 2. Dezember 2017

"Die Alchimistin" von Kai Meyer

"Der Kessel stand inmitten einer Unzahl von Apparaturen, vielerlei Glaskolben in den bizarrsten Formen, manche mit Rohren und Schläuchen verbunden. Destillierkolben und unerklärliche Gerätschaften, Töpfe, Waagen und Fläschchen, Gläser mit bunten Flüssigkeiten, Überreste von Pflanzen und sogar der ausgenommene Kadaver eines Leguans - all das war rund um den Kessel auf Tischen und Hockern, in offenen Schränken und Regalen aufgereiht. Das Laboratorium befand sich nicht unterhalb des Glasgiebels, sondern in einer Art gemauerter Höhle, die an die Westwand des Speichers grenzte. Sie besaß drei Wände und ein Dach, die zum Garten gelegene Seite war offen. Die Wärme, die den Pflanzen das Wachstum ermöglichte, war offenbar ein Nebenprodukt des Kesselfeuers. Jenseits der Apparaturen, in der Rückwand des Laboratoriums, gab es eine Holztür, so niedrig und schmal, dass Christopher nur gebückt hätte hindurchtreten können. Für Nestor galt wohl oder übel dasselbe - er war trotz seines Alters und des leicht gekrümmten Rückens keine Handbreit kleiner als Christoph, weit über eins achtzig. Auf einem Wandbrett neben dem Feuer standen mehrere Flaschen, deren Aufschriften so groß waren, dass Christopher sie sogar aus der Entfernung lesen konnte.  Merkwürdige Worte waren das: Hyle stand da, daneben Azoth. Auf einer Flasche las er Ros coeli, auf einer anderen O potab. Eine fünfte lag zerbrochen am Boden, das Etikett klebte noch an den Scherben: Sang, und darunter das Symbol einer Schlange oder eines Lindwurms. Nestor hatte derweil den Druck des Kessels mit Hilfe eines Rades am Abzugsrohr reguliert. Auch das Feuer loderte nun wieder zu seiner Zufriedenheit. Mit schweißnassem Gesicht wandte er sich abermals Christoph zu."


Auf einer kleinen Insel in einem Schloss in der Ostsee lebt die wohlhabende Familie Institoris. Als Charlotte Institoris den jungen Christopher adoptiert und zu ihrer Familie auf das Schloss bringt, merkt er schnell, dass dies keine gewöhnliche Familie ist. Charlotte, Mutter und Schlossherrin, scheint ein Geheimnis mit sich zu tragen. Ihre Tochter Aura und ihr Stiefbruder Daniel begegnen ihrem neuen Stiefbruder mit Ablehnung. Die jüngste Institoris, die kleine Sylvette, ist jedoch ein liebenswürdiges kleines Kind, die Christopher schnell ins Herz schließt. Doch sein neuer Stiefvater, Nestor Institoris, schließt sich Tag für Tag auf dem Dachboden in seiner "Hexenküche" ein und lässt sich Tage, sogar Wochenlang nicht blicken. Dies scheint jedoch niemanden zu stören. Unerlaubt schleicht Christopher sich eines Nachts in das Reich seines Stiefvaters und wird von ihm unerwarteter Weise in die Künste der Alchimie eingeführt. Schnell begreift Christoph, dass es seinem neuen Vater um den Stein der Weisen geht. Doch eines Nachts dringt ein Fremder in das Schloss und ermordet Nestor.  Bei dem Mörder handelt es sich um Gillian, einen Hermaphroditen und Auftragsmörder, der von Nestors ältestem Rivalen, Lysander, geschickt wurde. Gillian wurde zudem beauftragt, Nestors Tochter Aura zu töten, die sich aber längst auf dem Weg in ein Mädcheninternat in der Schweiz befindet. Dort wird sie Zeugin grauenhafter Mädchenmorde, doch niemand will ihr glauben. Auch im Schloss entstehen immer mehr Geheimnisse, alte Geheimnisse werden aufgedeckt und plötzlich befinden sich alle in Lebensgefahr. 

Meine Meinung zu dem Buch:
Zu Beginn hatte ich die Erwartung, die Geschichte drehe sich um den adoptierten Christopher. Da die Geschichte mit ihm begann und anfangs viel von ihm zu lesen war, ist der Gedanke sicher nachvollziehbar. Schnell stellte sich jedoch heraus, dass es sich in Wirklichkeit um Aura Institoris dreht. Aber wieso genau, findet man doch erst später heraus. Doch das ist absolut nichts Schlechtes. Schon von Anfang an hat mich die Geschichte gefesselt. Ich konnte mir jederzeit wunderbar vorstellen, wie die einzelnen Charaktere aussahen und lebten. Das Schloss der Familie Institoris mit all seinen geheimen Tunneln, dunklen Gängen, dem Piratenfriedhof und dem alten Leuchtturm, vor allem das Labor des Alchimisten Nestor konnte ich mir äußerst lebhaft ausmalen! Kai Mayer hat es mit seiner Schreibweise sehr leicht gemacht, sich in die Geschichte hineinzuversetzen. Mayer hat sich sichtlich bemüht, eine kreative Geschichte mit viel Spannung und Überraschungen zu schreiben. Das ist ihm auch mehr als gut gelungen. Was mich am meisten fasziniert hat, waren seine Recherchen für das Buch. Im Epilog/ Anhang des Buches wird aufgeführt, wie er zu all den Fakten kam, was die in dem Roman genannten geschichtlichen und alchemistischen Fakten für Hintergründe beinhalteten. Er hat geschichtliche Fakten bezüglich der Tempelritter miteingefädelt, was in diesem Roman sehr relevant war. Auch die Verbindung der Tempelritter mit der Alchemie wurde wunderbar erläutert! An manchen Stellen wurde es mal kurz etwas kompliziert, aber gleichzeitig war es auch faszinierend!
Zarte Gemüter muss ich vor diesem Buch jedoch warnen: es geht recht brutal zu. Viel Blut wird vergossen, es ist oft von Inzest die Rede und regelmäßig stirbt jemand auf mehr oder weniger grausame Weise.
Alles in allem fand ich "Die Alchimistin" super! Spannend, aufregend, interessant. Ich merkte oft bei Kampfszenen, wie ich selbst total angespannt war und immer schneller las vor Aufregung! Zwar konnte ich nie wirklich für einen Charakter Sympathie entwickeln, dennoch fand ich die Geschichte einfach faszinierend und aufregend. Ich habe vor, mir bald den zweiten Band der Trilogie zu holen und kann es kaum erwarten herauszufinden, was als nächstes passieren wird.

Donnerstag, 16. November 2017

"Qualityland" von Marc-Uwe Kling

Martyn wirft einen Blick auf seine Frau. Denise hat einfach keine Klasse, denkt er. Meine Mutter würde nie so flennen. "Meine Güte, Denise!", sagt er kopfschüttelnd. "Benutz doch die App!"  "Ach ja, die App!", sagt seine Frau aufgelöst. "Die hatte ich schon wieder ganz vergessen!" Am letzten Wochenende ist Martyn mit seiner Tochter extra beim Arzt gewesen und hat ihr einen Hormonchip einpflanzen lassen. Er zieht sein QualityPad aus der Tasche, wählt die "KleinerHelfer"-App und drückt auf BERUHIGEN. Der Chip schüttet eine gute Portion Progesteron aus, und die dreijährige Göre verstummt bald darauf. Martyn nimmt das Mädchen hoch und blickt es an. Er fragt sich, wie viel Geld ihn die Aufzucht dieses Kindes insgesamt kosten wird. Erst die genetische Verbesserung, dann die schweineteure elektronische Nanny und jetzt der Chip. Aber der Chip ist jeden Cent wert. Seine Tochter hat angefangen, an seiner teuren Krawatte herumzunuckeln. Erbost zieht er den Schlips aus ihrem Mund und öffnet die App. "Neiiiiin!", sagt seine Tochter flehend. "Bitte, Papaaa! Ich will noch nicht schlafen!" Martyn drückt einen Knopf. Zwei Minuten später schläft das Mädchen freidlich in seinen Armen.



"In Qualityland lautet die Antwort auf alle Fragen: OK"

Wenn Algorithmen das komplette Leben bestimmen.
Peter Arbeitsloser, ein Maschinenverschrotter, ist gerade in seinem gesellschaftlichen Rang auf "Nutzloser" herabgestuft worden, nachdem seine Freundin mit ihm Schluss gemacht hat. Nun gilt er als ein Niemand. Das ist Qualityland. Das Land der Superlative, das Land der Algorithmen, in dem jeder nach Ruhm, Erfolg und dem perfektem Partner strebt. "Everybody", das Social Network für jeden, errechnet per Algorithmus, wer die passenden Freunde für dich sind. Die Dating-App "QualityPartner" wählt den Partner aus, der laut Algorithmen am besten zu dir passt und TheShop schickt dir alle Artikel, die du angeblich unbewusst willst, automatisch zu. Peter Arbeitloser ist genervt von alldem. Bezahlen per Kuss, dem sogenannten "TouchKiss"-Zahlungssystem, vor jedem Geschlechtsverkehr einen Vertrag unterzeichnen müssen und jeder hat sofort Einblick in die Daten eines anderen. Er zieht sich in seinem Laden gern in den Keller zurück, wo er heimlich Roboter leben lässt, die er längst hätte verschrotten müssen. Denn in Qualityland darf nichts repariert werden, sondern wird höchstens durch etwas neues ersetzt. Lange lässt Peter das System von Qualityland stumm über sich ergehen, bis er eines Tages einen pinken Delfinvibrator von TheShop erhält, den er einfach nicht zurückgeben kann. Peter versucht alles mögliche, aber überall bekommt er nur zu hören, dass der Algorithmus sagt, er wolle den Vibrator, auch wenn Peter selbst es anders sehe. Der Algorithmus hat in Qualityland einfach immer recht. Peter reicht es, er beugt sich nicht mehr länger den Ungerechtigkeiten des Systems. Zusammen mit seinen Roboterfreunden beginnt er, sich gegen das System aufzulehnen und geht an die Öffentlichkeit. Wird er Erfolg haben und den Menschen die Augen öffnen können?


Meine Meinung zu dem Buch:
Als ich hörte, dass Marc-Uwe Kling ein neues Buch herausgebracht hatte, musste ich es mir sofort holen. Der Autor, der die Känguru-Triologie verfasst hat, konnte mich ja nur schwer enttäuschen. Und wieder einmal war ich von seinem Werk begeistert!
Qualityland ist ein äußerst gesellschaftskritisches und witziges Buch darüber, wie unsere Welt in Zukunft eventuell aussehen könnte. Auf leicht schockierende Art macht Kling dem Leser bewusst, wie sehr wir schon von den Medien und allgemein elektronischen Geräten abhängig geworden sind.  Könnte seine Vision von Qualityland sich also eines Tages bewahrheiten? Ich halte es nicht für ausgeschlossen. Der Autor greift in seinem Roman schon einige Dinge auf, die wir heutzutage in gewisser Weise schon haben. Dass man die Entwicklung eines Kindes bereits bei der Zeugung im Reagenzglas genetisch beeinlussen kann (was aber zum Glück noch nicht Norm ist) oder das uns Partner anhand von Algorithmen errechnet und vorgeschlagen werden. Aber wie sieht es mit Robotern aus? Wie weit wird sich die Technik noch entwickeln? Werden Roboter vielleicht eines Tages als Kanzler, Präsidenten etc. kandidieren? Werden wir Menschen uns emotional immer weiter voneinander entfernen und alles nur noch auf rein technischer Ebene erleben? 
Der Roman "Qualityland" ist meiner Meinung nach ein wunderbar abschreckendes Beispiel dafür, dass man seine Daten nicht immer und überall preisgeben sollte. Dass Anonymität heutzutage ein Luxus ist, worauf wir mehr Acht geben sollten. In Qualityland sind Menschen keine Individuen mehr. Sie sind ihr Status, ihr Level. Es wird nicht mehr auf den Charakter geachtet, sondern darauf, welchen Rang man hat und wie viel Einfluss man hat. Der Mensch wird zum Produkt.
Mal ganz abgesehen von diesen doch eher negativen Fakten scheint mir der Protagonist, Peter Arbeitsloser, wie ein Farbklecks in der grauen Welt zu sein. Er hinterfragt, er denkt noch nach. Und als er irgendwann beschließt nicht mehr blind alles abzunicken und zu allem OK zu sagen, gefällt mir die Geschichte immer besser. Ich finde es super spannend, wie Peter beginnt, sich gegen das System aufzulehnen. Das macht er natürlich auf seine Weise. Er platzt in eine Talkshow um sich Gehör zu verschaffen und stellt noch das eine oder andere an, was ich euch aber nicht vorwegnehmen möchte. Auf jeden Fall kommt damit etwas mehr Action in die Geschichte und lockert sie noch etwas auf! Ich habe mich während des Lesens immer wieder wunderbar darüber aufregen können, wie abgestumpft alle Bewohner von Qualityland geworden sind und alles akzeptierten wie es eben kam.
"Qualityland" regt einen wirklich zum Nachdenken an und ich möchte euch nahelegen, es wirklich mal zu lesen. Es lohnt sich.

Freitag, 10. November 2017

"Ensel und Krete - Ein Märchen aus Zamonien" von Walter Moers

Krete wusste nicht, was sie tun sollte. Ensel stand bis zu den Knöcheln im öligen Wasser, mit geschlossenen Augen, und schrie wie am Spieß. Es war ein langgezogener, unaufhörlicher Schrei in wilder Panik, wie von jemandem, der aus großer Höhe in die Tiefe stürzt. Dieser Eindruck wurde noch dadurch verstärkt, daß Ensel wild mit den Armen ruderte. Aber Krete konnte nichts erkennen, was ihm Schmerzen verursachte oder dieses absurde Verhalten rechtfertigte. War das vielleicht einer seiner idiotischen Scherze? "Ensel, laß das! Komm raus da!" Ensel schrie weiter, anhaltend und beängstigend. "Jetzt komm endlich raus, das ist nicht lustig. Vielleicht ist das ein Sumpf. Ensel!" Krete überlegte, hinterherzuwaten und ihn herauszuziehen. Es war nur ein kurzer Schritt ins schlammige Wasser, aber Krete zögerte. "Ich kann dich zu deinem Zögern nur aufrichtig beglückwünschen", sagte da eine wohlbekannte Stimme hinter ihr. "Ich würde diesen mysteriösen Schlamm auch nicht betreten."


Die idyllische Gemeinde namens Bauming gilt, seitdem die Buntbären den großen Wald bevölkert haben, als eine der anziehendsten Touristenattraktion Zamoniens. Sie schufen ein wahres Ferienpardies für Naturfreunde und sorgen stets für die Sicherheit der Urlauber. Doch wehe dem, der die markierten Wege verlässt und einfach den Wald betritt. Solange die Wege nicht verlassen werden, ist man in Sicherheit. Aber wie Kinder so sind, wagen es die beiden Geschwister Ensel und Krete, zwei Zwerge aus Fernhachen, und verlassen den Weg. Sie wollen etwas neues sehen in der ihnen so bekannten Umgebung. Also wagen sie sich ins Unterholz des Waldes und gehen tiefer und tiefer hinein. Schnell wird den Zwergenkindern ihre Neugierde zum Verhängnis. Der Wald offenbart sein wahres Ich voller Gefahren, Monster, Monsterpflanzen, gefährlicher Sümpfe und am schlimmsten: einer bösen Hexe. Werden die beiden Kinder jemals wieder aus dem Wald heraus und zurück zu ihren Eltern finden, oder werden sie von den Wesen des Waldes gefressen?

Meine Meinung zu dem Buch:
Ich bin eine begeisterte Leserin der Bücher von Walter Moers. Darum war ich umso gespannter, wie er dieses "Zamonische Märchen" (dass für jeden eindeutig an das Märchen "Hänsel und Gretel" anlehnt) auf seine Art erzählen würde. Und wie immer war ich keineswegs enttäuscht. Zu Beginn gab es kleine Abschweifungen, aber die hatte man schnell hinter sich gelassen und der wirklich interessante Teil beginnt! Wieder einmal verblüfft der Autor mit seiner unglaublischen Fantasie. All diese Wesen, die Zwergenkinder aus Fernhachen, ein gemeingefährlicher Laubwolf, unsterbliche Sternenstauner, ehrgeizige Erdgnömchen, ein unberechenbarer Stollentroll und viele mehr erwarten den Leser in diese Buch. Zugegeben, es ist nicht leicht, sich diese Wesen bildlich vorzustellen, aber gerade das finde ich so faszinierend an den Geschichten von Moers. Es ist nichts, was man schon irgendwie auf irgendeine Weise gesehen haben könnte. Das Unmögliche. Absolut abstrakt und verblüffend. Auch die Charakterzüge der einzelnen Wesen sind fantastisch beschrieben worden, so dass man sich wunderbar deren Stimmen und alles drum und dran vorstellen kann, soweit es möglich ist. Auch typisch für die Geschichten von Moers ist, dass man sich ein Ende nicht denken kann. Absolut nicht. Gut, hier gibt es nur zwei Möglichkeiten: entweder Ensel und Krete finden aus dem Wald oder eben nicht (vielleicht bleiben sie für immer dort, vielleicht sterben sie auch- bei Moers ist alles möglich!). Dieses Märchen ist eine Fantasiereise der anderen Art. Allgemein ist die Geschichte spannend und aufregend geschrieben. Man begeleitet die Zwergenkinder auf ihrem langen, beschwerlichen Weg durch den Wald und wartet gespannt, was sie als nächstes finden werden-  oder wer die Kinder als nächstes findet. Hier und da scheint es Hoffnung für die Kinder zu geben. Aber dazu möchte ich nichts genaueres sagen.
"Ensel und Krete" ist keine Neuverfassung des Märchens "Hänsel und Gretel", sondern zeigt lediglich, was in der Literatur alles möglich ist. Und ich bin beeindruckt. Meiner Ansicht nach kann diese Geschichte den anderen Büchern von Moers zwar nicht ganz das Wasser reichen, aber ich hatte großen Spaß daran, es zu lesen und fand es einfach faszinierend!

Donnerstag, 2. November 2017

"Immer diese Herzscheiße" von Nana Rademacher

Wenn man mich fragen würde, worum's in dem Stück eigentlich geht, würd ich persönlich sagen, es geht um blöde Missverständnisse. Die hören sich alle nicht richtig zu. Der eine versteht den anderen nicht und umgekehrt, oder sie wollen sich nicht verstehen. Alles geht durcheinander, und das soll dann lustig sein. Vielleicht war das ja auch bei Dixi und mir so, nur dass es nicht lustig war.
Und vielleicht ist es wirklich so, dass:
           1. Im Grunde das ganze Leben aus Missverständnissen besteht. Und dass:
           2. Man dem anderen nie RICHTIG zuhört. Und
           3. der andere einem auch nie RICHTIG zuhört.
Wenn ich so'n Zeug denke, ist klar, dass ich echt schlechte Laune habe. Es geht auch um Liebe in dem Stück, würd ich sagen, das gefiel mir, aber mir gefiel nicht, dass ich so oft an Paul denken musste. Immer wenn ich seinen Text las, hörte ich seine Stimme, wie er es sagen würde. So paulernsthaft und gleichzeitig paulleicht, als ob alles echt wär und nicht bloß ein Theaterstück. Ich dachte an die Winterblumen, die er für mich gepflückt hatte. Und dann dachte ich wieder an Dixi.

Sarah ist 15 Jahre alt, lebt in Stuttgart und geht auf die Werkrealschule. Ihre Vorstellung von der Zukunft? Harzt IV oder Schwarzarbeiter. In ihrer Freizeit hängt sie mit ihren Freunden herum, betrinkt sich, macht Party und klaut. Schon seit sie ein kleines Kind war, lebt Sarah bei ihren Großeltern. Ihre Mutter hat sie und ihren älteren Bruder damals einfach verlassen und ist nach Berlin abgehauen.
Als Sarah eines Tages von ihrem Lehrer in der Schule beim Verkauf von Drogen erwischt wird, hat das Konsequenzen. Doch der Lehrer stellt sie vor die Wahl: entweder beteiligt sich Sarah an einem Theaterstück seines Sohnes, oder es wird eine Lehrerkonferenz einberufen und sie erhält einen Verweis. Da Sarah Angst hat, ihre Großmutter könnte deswegen einen Herzanfall bekommen, erklärt sie sich widerwillig für das Theaterprojekt bereit. Doch das war leider noch nicht alles. Weil Sarah in der Schule weiterhin Misserfolge hat und ständig Mist baut, veranlasst ihr Lehrer, dass Sarah Nachhilfe bekommen soll. Diese Aufgabe übernimmt Kathi, eine Studenten, die im Theater mitspielt. Sarah kann sie nicht ausstehen und findet Kathi einfach nur spießig. Doch das ändert sich mit der Zeit. Auch lernt Sarah beim Theaterstück Paul kennen. Den schüchternen, schlaksigen Paul. Eigentlich ist er überhaupt nicht Sarahs Typ, aber irgendwas ist da zwischen den beiden. Währendessen geht es in Sarahs Clique drunter und drüber. Sie streitet ständig und immer heftiger mit ihrer besten Freundin Dixi, bis diese eines Nachts ins Krankenhaus muss. Alles steht Kopf und Sarah weiß oft einfach nicht mehr, was sie machen soll. Und wo ist ihr Platz in dieser Welt?

Meine Meinung zu dem Buch:
Ich muss gestehen, dass ich zu Beginn wirklich Mühe hatte, in das Buch reinzukommen. Die Geschichte sprach mich irgendwie garnicht an. Sarahs Art, dieses aufmüpfig sein, frech, brutal, immer mit Ausdrücken, das hat mir garnicht gefallen. Es war einfach nervig. Aber so ist ihre Art eben. Ich habe mir dabei immer gedacht, sie macht das nicht mit Absicht. Sie hatte vielleicht eine schwere Kindheit und auch jetzt kein leichtes Leben. Wurde von der Mutter verlassen, lebt bei ihren Großeltern, die mit ihrem Geld immer geradeso über die Runden kommen. Als ich mir dass dann endlich bewusst gemacht hatte, habe ich das Buch etwas besser lesen können. Es war absolut interessant, mal ein Leben eines jungen Mädchens aus solch einer Situation kennenlernen zu dürfen. Ihre Gedankengänge, ihre Handlungen, alles sehr emotional, impulsiv und energisch. Irgendwann konnte ich sogar mit Sarah mitfühlen, wenn es mal richtig mies lief und sie nicht weiter wusste. Selbst ich habe dann eine gewisse Verzweiflung oder Wut gespür und mich gefragt, was ich an ihrer Stelle in dieser Situation getan hätte. Die Geschichte wurde zunehmend interessanter und besser. Da alles aus der Ich-Perspektive (also aus Sarahs Sicht) erzählt wurde, hat es das Mitfühlen wesentlich leichter gemacht. Die einzelnen Charaktere sind auch wunderbar beschrieben worden. Ich konnte mir gut vorstellen, wie zum Beispiel der schüchterne Paul aussah, wie er klang und wie er sich verhielt. Ebenso konnte ich mir sehr deutlich Sarahs Freundin Dixi vorstellen. Klein, schrill, vielleicht stark geschminkt, lässt sich von niemandem etwas gefallen. Charakterlich sind in dieser Geschichte die krassesten Gegenteile vorhanden, was ich ziemlich interessant fand. Auch gab es immer wieder krasse Wendungen. Höhen und Tiefen in der Geschichte sind ungeleichmäßig verteilt. Wenn ich das Buch richtig verstanden habe, steckt eine kleine Message dahinter. Sarah will sich eigentlich garnicht erst um ihre Zukunft bemühen und Hartz IV Empfänger werden. Aber im Laufe der Geschichte merkt sie immer wieder erneut, dass sie etwas besonderes kann und daraus etwas machen könnte. Etwas, dass ihr Spaß macht. Sie soll nicht gleich aufgeben, ohne überhaupt etwas versucht zu haben. Überhaupt stecken in der Geschichte diverse kleine und große philosophische Fragen. Der Sinn des Lebens, die Existenz der Menschen und anderes.
Als ich mich endlich in das Buch reingelesen hatte, fand ich es wirklich interessant, unterhaltsam und sogar spannend. Ich wollte einfach wissen, was Sarah alles passiert, wie sie damit umgeht, wie sie sich in dieser Zeit entwickelt. Es ist wirklich kein Buch für jeden, eher speziell. Aber ich habe es letzten Endes nicht bereut, es gelesen zu haben.

Mittwoch, 1. November 2017

"Jane Austens Geheimnis" von Charlie Lovett

Onkel Bertram und sie schlenderten dann durch Londons Straßen und erkundeten irgendein Stadtviertel oder besuchten Gebäude, die etwas mit Literatur zu tun hatten. Sie gingen in Museen und Büchereien mit seltenen Büchern und sahen sich Theaterstücke oder Musicals an, die eine literarische Vorlage hatten. Aber vor alle kauften sie ein, und Sophie gab mit Begeisterung ihr müsam gespartes Taschengeld für "staubige, alte Bücher" aus. Onkel Berram kannte jeden Buchladen in der Stadt, jeden Verkaufsstand mit Antiquitäten, bei dem man meist weiter hinten auf ein verstecktes Bücherregal stieß, jeden Straßenverkäufer auf den Antikmärkten in der Portobello Road oder in Camden Passage, der ein oder zwei Bücher auf seiner ausgebreiteten Decke anbot. Und nach ihrem Bücherbummel machten sie es sich in seiner Wohnung in Maida Vale vor dem Kaminfeuer bequem und lasen. Am Anfang las Onkel Bertram immer Sophie vor, doch schon bald wechselten sie sich nach jedem Kapitel von The Ingoldsby Legends, Der geheime Garten oder Robinson Crusoe ab. Sophie gefielen vor allem die Anfangssätze - sie bargen so viele Möglichkeiten in sich. Am liebsten mochte sie die einfach gehaltenen. "Alice fing an sich zu langweilen; sie saß schon lange bei ihrer Schwester am Ufer und hatte nichts zu thun" oder "Ob ich schließlich der Held meines eigenen Lebens werde, oder ob jemand anderes diese Stelle einnehmen, wird, das sollen diese Blätter zeigen" oder "In einem Loch im Boden, da lebte ein Hobbit".

Sophie Collingwood ist eine passionierte Buchsammlerin und liebt vor allem die Bücher von Jane Austen. Diese Leidenschaft hat sie ihrem Onkel Bertram zu verdanken, der sie in die Welt der Bücher einführte, als Sophie noch ein Kind war. Doch als ihr Onkel plötzlich stirbt, bricht für Sophie eine Welt zusammen. Sie kann außerdem nicht glauben, dass es nur ein Unfall war, der zum Tode ihres Onkels geführt haben soll. Vielleicht hat sie einfach nur zu viele Krimis gelesen, doch Sophie kann das so nicht hinnehmen und stellt eigene Nachforschungen an. Währenddessen nimmt sie einen Job in einem Antiquariat an, für den sie wie geschaffen ist. Als eines Tages gleich zwei Interessenten nach der Zweitausgabe „Ein kleines Buch allegorischer Geschichten" fragen und dieses in Auftrag geben, wird alles noch merkwürdiger. Welcher Sammler möchte denn Zweitausgaben? Noch dazu von einem Buch, von dem niemand etwas zu wissen scheint? Es ist nirgendwo aufzufinden, aber Sophies Neugier ist geweckt. Wieso ist das Interesse daran so groß, dass einer der beiden Kunden ihr sogar droht? Steckt er möglicherweise auch hinter Onkel Bertrams Tod? Und was ist so besonders an diesem Buch? Nach und nach entdeckt Sophie die Geheimnisse hinter „Ein kleines Buch allegorischer Geschichten" und kommt dem Schlüssel zum Geheimnis um Jane Austens Meisterwerk “Stolz und Vorurteil” immer näher. Doch damit begiebt sie sich selbst immer mehr in Gefahr.


Meine Meinung zu dem Buch:
Als ich den Titel das erste Mal sah, wurde ich gleich neugierig. Dass Jane Austen in der heutigen Literatur immernoch eine Rolle spielt, hat mich sehr gefreut. Denn ich mag ihre Geschichten sehr. Vor allem Stolz und Vorurteil. Der Roman spielt auf zwei Zeitebenen: zur heutigen Zeit und zur Zeit von Jane Austen. Die Zeitstränge sind klar und deutlich getrennt und es kommt so schonmal nicht zu Verwirrungen während des Lesens. Parallel zur Geschichte von Sophie Collingwood erlebt der Leser, wie die junge Jane Austen Freundschaft mit einem gewissen Mister Mansfield schließt, welcher der Autor von „Ein kleines Buch allegorischer Geschichten" ist. Mister Mansfield hilft Jane Austen dabei, Inspiration für ihre eigenen Romane zu finden. Man kann mitverfolgen, wie sich die Geschichten von Jane Austen langsam entwickelten und wie sie ihre Ideen erlangt hat. Währenddessen in unserer Zeit setzt sich Sophie damit außeinander, was es mit dem Buch von Mister Mansfield auf sich hat und entdeckt langsam, dass Jane Austen mit involviert war. Aber was hat das alles zu bedeuten? Was war das Geheimnis der damaligen Autorin? Sophie stößt auf ein unglaubliches, für sie schreckliche Geheimis, dass sie nicht glauben kann. Hat sich die Welt so in Jane Austen getäuscht? Bzw. hat Jane Austen die Welt so sehr getäuscht, all die Jahre in denen Menschen ihre Bücher lasen? Es ist eine wirklich aüßerst spannende Geschichte!
Es fällt leicht, sich die einzelnen Charaktere ganz genau vorzustellen. Und die Passagen, in denen Sophie mit ihrem Onkel zusammen zwischen Büchern saß, haben mir persönlich besoners gut gefallen. Ich bildete mir sogar ein, den Duft der alten Bücher riechen zu können. Einfach wundervoll.
Zur Figur von Sophie: ich konnte mich gut mit ihr identifizieren. Sie ist jung, kennt ihren Platz in der Wel noch nicht richtig, weiß nicht wohin und liebt Bücher über alles. Was mich jedoch an ihr störte, waren ihre "Romanzen". Ich konnte ihr Handeln nicht nachvollziehen und fand generell den Aspekt der Liebe in diesem Roman unnötig. Man hätte es meiner Meinung nach auch auslassen können. Einer ihrer "Verehrer" war für sich so an dern Haaren heribeigezogen, dass es einfach nur seltsam war. Er erscheint am Anfang der Geschichte kurz, ist dann das ganze Buch über nicht anwesend und taucht am Ende wieder auf. Das schien mir doch sehr ungeschickt gemacht. Doch trotz alldem würde ich das Buch wieder lesen!
Der Teil der Geschichte, der in unserer jetzigen Zeit spielt, kommt einem Krimi recht nahe, doch nicht zu sehr. Ich bin kein Krimi-Fan, fand hier aber einen angehmen Grad davon vor. Es war spannend, aufregend, man hat sich im Hinterkopf immer eigene Gedanken gemacht zu den Ereignissen und Fakten. Wem kann Sophie trauen? Sind ihre Entdeckungen wahr? Wer ist gut und wer ist böse? Spannend und wundervoll geschrieben von Anfang an, absolut zu empfehlen!

Mittwoch, 25. Oktober 2017

"Das Buch der verlorenen Dinge" von John Connolly

Bevor sie krank wurde, hatte Davids Mutter ihm oft gesagt, dass Geschichten lebendig waren. Nicht auf dieselbe Art wie Menschen oder Hund oder Katzen. Menschen waren lebendig, ob man sie zur Kenntnis nahm oder nicht, während Hunde gewöhnlich dafür sorgten, dass man sie zur Kenntnis nahm, wenn sie das Gefühl hatten, dass man sie zu wenig beachtet. Katzen wiederum waren bisweilen sehr geschickt darin, so zu tun, als würde man überhaupt nicht existieren, aber das war wieder eine ganz andere Sache.
Geschichten waren anders: Sie wurden lebendig durch das Erzählen. Ohne eine menschliche Stimme, die sie vorlas, oder ein Paar gebannt aufgerissene Augen, die sie beim Licht einer Taschenlampe unter der Bettdecke verfolgten, existierten sie im Grunde nicht in unserer Welt. Sie waren wie Samenkörner im Schnabel eines Vogels, die darauf warteten, auf die Erde zu fallen, oder wie Noten auf einem Blatt Papier, die sich danach sehnten, dass ein Instrument sie zum Klingen brachte. Sie schlummerten vor sich hin und hofften auf eine Gelegenheit, ihren Buchdeckeln zu entrinnen. Sobald jemand anfing, sie zu lesen, konnten sie sich verändern. Sie konnten sich in der Fantasie verwurzeln und den Leser verwandeln. Geschichten wollten gelesen werden, hatte seine Mutter ihm zugeflüstert. Sie brauchten es. Deshalb drängten sie sich aus ihrer Welt in unsere. Sie wollten, dass wir ihnen Leben gaben.



London zu Zeiten des zweiten Weltkrieges. Die Mutter des zwölfjährigen Davids ist sehr krank und stirbt. Nach einiger Zeit geht Davids Vater eine neue Beziehung mit Rose ein, die seine kranke Mutter damals pflegte. David gefällt es gar nicht, dass sein Vater anscheinend seine Mutter ersetzt hat und sich Rose zwischen ihn und seinen Vater stellt. Rose jedoch ist sehr bemüht, zu David eine gute Beziehung aufzubauen, doch er lässt dies nicht zu. Um den Bombenangriffen der Deutschen zu entkommen, ziehen David und sein Vater zu Rose aufs Land. Sein Zimmer ist bereits gefüllt mit alten Büchern seines Vorbesitzers. Manchmal scheint es, als flüsterten sie dem Jungen etwas zu. Also flüchtet er sich in die Welt der Bücher, um seiner verhassten Stiefmutter und seinem neuen Brüderchen aus dem Weg zu gehen. Eines Tages beginnt David, neben den Stimmen der Bücher auch noch eine Gestalt herumhuschen zu sehen, die außer ihm niemand wahrzunehmen scheint. Eines Nachts, nach einem großen Streit mit seinem Vater und Rose, flüchtet David durch einen Spalt im Garten in eine andere Welt. Dort angekommen, ist ihm der Rückweg jedoch verwehrt und David muss sich den seltsamen, aber grässlichen Gefahren dieser anderen Welt stellen. Es herrscht eine trübe, düstere und kalte Atmosphäre. Um wieder nach Hause zu gelangen, macht sich der kleine Junge auf den Weg zum König, der ihm angeblich helfen kann. Ein blutiger, brutaler und schrecklicher Weg liegt vor ihm. 

Meine Meinung zu dem Buch:
Durch den Titel, das Cover und den Text auf der Rückseite des Buches rechnete ich mit einem etwas sachteren Buch über eine seichte Fantasiewelt. Darin habe ich mich getäuscht. Schon die ersten Seiten trieben mir Tränen in die Augen und im Laufe der Geschichte wurde es immer brutaler und grausamer. Damit habe ich absolut nicht gerechnet. Ich empfand das nicht als negativ, im Gegenteil. Es war sehr spannend und aufregend! Die Geschichte wurde niemals langweilig.
Es fällt einem sehr leicht, sich in den kleinen David hineinzuversetzen, der seine geliebte Mutter verloren hat und nun eine neue Frau und ein Geschwisterchen von ihr in seinem Leben akzeptieren soll. Man spürt seine Wut, Neid, Verzweiflung und Einsamkeit. Das klingt alles nach einem ganz und gar traurigem Buch, aber es ist einfach nur interessant und spannend, die Geschichte mitzuverfolgen. Ich fand es stellenweise sogar gruselig mit Gänsehautfaktor, genau im richtigem Maß.  Als Leser kann man richtig gut mitverfolgen, wie sich Davids Gefühle immer weiter entwickeln und vertiefen, wie er immer mehr an den neuen Lebensumständen leidet. Als er dann in die andere Welt gerät, denkt man automatisch an Märchen wie Rotkäppchen, Schneewittchen usw. Sie wandeln sich jedoch in beängstigende Geschichten um, Märchen wie wir sie kannten, werden vom Autor gänzlich umgewandelt. So begegnet David zum Beispiel der tyrannischen, fetten, brutalen Schneewittchen, die die sieben Zwerge quält und misshandelt. "Sie lebten glücklich bis ans Ende ihrer Tage" existiert in dieser Welt nicht, was ich ziemlich interessant finde. Mir gefällt es, wie der Autor sämtliche Märchen in ein völlig neues Licht stellt und dem Ganzen ein neues Gesicht verleiht. Mir kam dabei auch der Gedanke auf, dass wenn die reale Welt schon so grausam und brutal ist mit ihren Kriegen, warum sollte es dann in Märchen anders sein? Ich denke, dass der Autor dadurch zeigen will, dass eine Flucht aus der Realität das Leid nicht mindern kann. Das muss David nun am eigenen Leib erfahren. Wie ich schon erwähnt habe, ist der Roman von Anfang bis Ende spannend geschrieben und ich konnte es kaum aus der Hand legen. Das Ende war absolut unvorhersehbar, was mir bei Büchern sehr wichtig ist. Der gesamte Weg, den David zu gehen hat, ist aufregend, emotional und spannend geschrieben. Man stellt sich immer die Frage: welchen Wesen begegnet er als nächstes? Wer ist der krumme Mann? Schafft der kleine Junge es, bis zum König zu gelangen und kann dieser ihm tatsächlich nach Hause helfen? "Das Buch der verlorenen Dinge" werde ich auf jeden Fall mal wieder lesen und reihe es unter meinen Favoriten ein!

Dienstag, 24. Oktober 2017

"Wolkenschloss" von Kerstin Gier

Ein leises Klopfen an der Fensterscheibe riss mich aus meinen Gedanken. Zwei schwarze Knopfaugen schauten mich von draußen an, und ich beeilte mich, das Fenster zu öffnen. Das war ein weiterer Grund, meine Kammer zu lieben: Die Fensterbank wurde mit Vorliebe von den Bergdohlen angeflogen, vermutlich weil, wer immer hier vor mir mal gewohnt hatte, sie verbotenerweise gefüttert hatte. Eine Angewohnheit, die ich sofort mit Begeisterung aufgenommen hatte, Verbot hin, Verbot her. Es handelte sich ja nicht um Tauben auf dem Markusplatz, die Venedig angeblich noch zum Einsturz bringen würden, weil ihre Kacke selbst Marmor wegätzte- , es waren nur sieben Vögel, und sie richteten keinerlei Schaden an. Um ehrlich zu sein, hatte ich sie überhaupt noch nie kacken sehen, es waren außerordentlich manierliche Vögel, die wahrscheinlich extra in den Wald flogen, um ihr Geschäft zu erledigen. Ich hatte sie alle Hugo getauft, weil sie anfangs für mich mit ihren gelben Schnäbeln, dem glänzenden, tiefschwarzen Gefieder und den klugen, schwarzen Augen absolut gleich ausgesehen hatten. Mittlerweile hatte ich aber gelernt, sie zu unterscheiden, und so gab es nun den melancholischen Hugo, den wirklich unglaublich verfressenen Hugo (verfressen waren sie alle, doch der wirklich unglaublich verfressene Hugo war einfach... wirklich unglaublich verfressen), den einbeinigen Hugo, den kleptomanischen Hugo (er hatte mir schon zwei Haarklämmerchen, den Deckel einer Sprudelflasche und beinah das Ladekabel für mein Handy geklaut, aber er war trotzdem mein heimlicher Liebling), den pummeligen Hugo, den hopsenden Hugo und den misstrauischen Hugo. "Hallo hoppsender Hugo, kommst du die fabelhafte Fanny besuchen?"


Die siebzehnjährige Fanny macht anstelle des Abiturs ein Praktikum in einem alten Grand Hotel in den Schweizer Bergen. Sie ist dort das Mädchen für alles und gibt sich stets Mühe, gerät aber immer wieder in Schwierigkeiten, die sie trotzdem bewältigt bekommt. Hierbei erhält sie zum Glück oftmals Hilfe einiger Freunde aus dem Personal. Der Concierge, Monsieur Rocher, versorgt Fanny stets mit allen Informationen, die er über die Gäste hat und Pavel, der in der Wäscherei arbeitet, hat immer ein offenes Ohr für Fanny. An unangenehmen Zeitgenossen fehlt es im Wolkenschloss natürlich auch nicht. Der rücksichtslose Hotelbesitzer Roman Montfort, der stets am Personal zu meckern hat, das Fräulein Müller, die anscheinend in der Zeit von Heidi und Fräulein Rottenmaier steckengeblieben ist und die drei zickigen Aushilfen Hortensia, Camilla und Ava tyrannisieren Fanny wann immer sie können. Ganz anders als Roman Montfort ist sein Sohn Ben, der über die Weihnachtsferien im Hotel seines Vaters arbeitet. Ein sehr liebenswürdiger und hilfsbereiter Mensch. Auch lernt Fanny den attraktiven Tristan, einen Hotelgast, kennen, der sich als Hoteldieb vorstellt und nachts an der Fassade des Hotels herumklettert. Als es auf die Weihnachtsfeiertage und Silvester zugeht, überschlagen sich die Ereignisse. Fanny findet heraus, dass eine russische Oligarchenfamilie inkognito im Hotel gastiert, welche angeblich den legendären Nadjeschda-Diamanten besitzen sollen. Dann verschwindet Schmuck eines Gastes, Kinder werden plötzlich vermisst, ein mysteriöser Mann checkt ein, der unter seinem Mantel eine Pistole versteckt hat und Fanny begiebt sich ahnungslos in Lebensgefahr. Eines steht fest: dieser Job wird niemals langweilig.


Meine Meinung zu dem Buch:
Was ich bisher nie angesprochen habe in meinen Rezensionen: Das Cover. Hier muss ich einfach sagen, wie wunderschön ich das Cover finde! Es gibt einiges darauf zu entdecken, ist in wunderschönem Pastell-lila gehalten und man erhält gleich einen ungefähren Eindruck, wie man sich das Hotel vorzustellen hat. Nun zur Geschichte: der Roman wird aus der Ich-Perspektive von Fanny Funke erzählt. Mit viel Humor erlebt man als Leser den Alltag im Hotel aus ihrer Sichtweise und ihren Gedanken. Es gibt viele Augenblicke, in denen man einfach schmunzeln muss, wenn Fanny zum Beispiel über einen Hotelgast denkt, wie eingeblidet dieser doch sei oder ähnliches. Man leidet wunderbar mit ihr mit, wenn sie von einem Gastkind ständig in Schwierigkeiten gebracht wird, wenn sie jemand tadelt oder die drei Zicken es ihr mal wieder schwer machen, indem sie Fanny zum Beispiel aus dem gemeinsamen Waschraum jagen. Aber es ist nicht alles schrecklich. Es gibt immer wieder Momente, in denen man sich für sie freut oder mitfiebert, wenn sie an einer Problemlösung dran ist. Durch den Schreibstil werden auch die einzelnen Personen, die Gäste und das Personal, wunderbar beschrieben. Es fällt also sehr leicht, sich diese Menschen deutlich vorstellen zu können. Sowohl was das äußere Erscheinen als auch den Charakter betrifft. Natürlich hat sich in diesem Jungend-Roman auch eine Liebesgeschichte eingeschlichen. Doch das wird sehr subtil eingeführt und ist recht spannend und abwechslungsreich eingebracht worden. Denn es scheint, als würden sowohl der Sohn des Hotelbesitzers, Ben, als auch der Gast Tristan sich sehr für Fanny interessieren. Sie selbst ist sich nicht sicher, was oder wen sie will. Mit den beiden Jungen erlebt sie sowohl schöne Momente als auch Konflikte. Es ist meiner Meinung nach der richtige Grad an Liebe in der Geschichte. Insgesamt ist "Wolkenschloss" ein Jugendroman mit einer Mischung aus Liebe, Krimi und Humor! Zu dem Krimi-Aspekt: innerhalb der Geschichte fallen immer an den richtigen Stelle n gewisse Spannungsmomente, die die Handlungen wieder ankurbeln und es noch interessanter machen. Man ist  ständig am mitfiebern, versucht selbst, dahinter zu kommen. Der absolute Höhepunkt der Geschichte kommt erst am Ende, was aber absolut nicht schlecht ist. Es wird auf keinen Fall jemals langweilig und am Ende erwartet einen das große Finale der Geschichte. Der größte Kriminafall im Hotel, der Fanny sogar in Lebensgefahr bringt. Absolut spannend mit unerwarteter Wendung und Enthüllung! Ich bin kein Krimi-Fan. Aber in dem Buch "Wolkenschloss" fand ich diesen Teil absolut super und das gesamte Buch lesenswert! Ich würde es auf jeden Fall weiterempfehlen.

Dienstag, 15. August 2017

"Nation der Untoten" von David Wellington

"Komm schon, komm schon", murmelte die Frau, als sich das EKG erwärmte. "Nun mach schon." Endlich erwachte der Bildschirm zum Leben, gleichzeitig schrillte ein Alarmton. Auf dem Schirm bewegte sich eine flache Linie von rechts nach links, ohne jede Abweichung. "Verdammt", fluchte die Schwester und versetzte dem Gerät einen harten Schlag. Nichts veränderte sich. Sie schaltete den Alarm ab. "Schon wieder eine Fehlfunktion!"
"Was...Was hat das zu bedeuten?", fragte Nilla. Plötzlich verspürte sie Angst. "Ich habe keinen Herzschlag? Was bedeutet das?" Die Krankenschwester fluchte und riss die Elektroden von Nillas Körper. "Das bedeutet dass mein Gerät im Arsch ist, und jetzt muss ich ein neues vom anderen Ende des Krankenhauses holen und kann noch eine halbe Stunde auf meine Raucherpause warten! Genau das bedeutet es! Herrgottnochmal, jetzt beruhigen Sie sich endlich." Sie griff nach Nillas festgebundenem Handgelenk und tastete nach dem Puls. Nach ein paar Sekunden verzog sie verwirrt den Mund und drückte ihre Handfläche unter Nillas Nase, um ihren Atem zu fühlen.
Die Wut wich aus ihrem Gesicht und nahm alle Farbe gleich mit. Ihr Blick wurde sanfter, ihre Lippen zitterten etwas. "O Gott. Doktor!", schrie sie. "Code Blau, Code Blau!" Sie wollte sich umdrehen und aus der Nische rennen, als eine der Trennwände zur Seite gerissen wurde.



Captain Bannerman Clark erhält den Auftrag, einen angeblichen Aufstand in einem Hochsicherheitstrakt nachzugehen, da die dort Zuständigen mit  der Situation überfordert sind. Doch was ihn dort erwartet, übertrifft all seine Erwartungen. Nicht die Gefängnisinsassen sind es, von denen Gefahr ausgeht. Allem Anschein nach sind es einige Wärter, die begonnen haben, sich gegenseitig zu zerfleischen und zu fressen. Clark vermutet einen Virus und lässt das Militär und dementsprechende Forschungzentren herbeirufen. Zeitgleich hört man aus Colorado ebenfalls Fälle von Menschen, die Zivillisten auf die gleiche Art angreifen. Wie eine Epidemie breitet es sich rasend schnell aus und überträgt sich sogar auf Tiere. Jedoch ein befallener Mensch unterscheidet sich von den anderen Infizierten. Nilla weiß nicht mehr, wer sie ist, was sie ist und was überhaupt los ist. Nur eines weiß sie sehr schnell, sie ist nicht mehr am Leben. Doch im Gegensatz zu den anderen ihrer Art kann sie noch denken und wirkt fast menschlich. Von einer seltsamen Macht angezogen, reist Nilla durch Amerika. Als Bannerman von ihr erfährt, sieht er in ihr die einzige Chance, die Epidemie zu bekämpfen. Der Kampf gegen die Untoten, deren Zahl immer schneller ansteigt, und gegen eine unbekannte Macht hat begonnen. 

Meine Meinung zu dem Buch:
"Nation der Untoten" ist ein Zombie-Apokalypsebuch der anderen Art. Auf spannende Art und Weise erzählt der Autor David Wellington in drei parallel laufenden Handlungssträngen, wie eine Zombie-Epidemie Amerika überrollt. Als Leser erhält man Einblick in das Leben dreier Menschen, die das alles hautnah miterleben (wobei einer eher nebensächlich ist). Zu Beginn verlaufen die Geschichten noch parallel, jedoch begegnen sich die drei Figuren der drei Handlungsstränge im Laufe der Geschichte. Anfangs springen die Handlungen noch hin und her, von einem Charakter zum anderen. Jedoch wird so die Spannung erst richtig aufgebaut.  Um die Geschichte des Romans realitätsnah zu halten, werden zwischendrin immer wieder Pressemitteilungen, Tatsachenberichte und Blogeinträge eingebaut, die über die derzeitige Situation berichten. Dadurch wird der Leser indirekt dazu angeregt, sich selbst Gedanken zu machen, ob so etwas nicht tatsächlich in der wirklichen Welt möglich wäre. Die Sprünge zwischen den Charakteren und Orten bleiben zunächst weiter bestehen, sind aber niemals verwirrend und machen die Handlungen wesentlich interessanter. Jedoch finde ich, dass die politischen Aspekte, die im Laufe der Geschichte miteinfließen, das Ganze etwas zäh machen und meiner Meinung nach hätten ausgelassen werden können. Als Ausgleich werden die Gewaltszenen,wie Menschen zerfleischt werden, immer häufiger und deutlicher, was die Spannung anhalten lässt. Des Weiteren werden die beiden Hauptpersonen des Romans, Nilla und  Bannerman, sehr gut beschrieben. Mir fiel es sehr leicht, mir die beiden bildlich vorzustellen, sowohl was das Äußerliche als auch den Charakter angeht. Man konnte einen wunderbaren Einblick in die Situationen und Gedanken der beiden erhalten, was mir sehr gefallen hat. Der Autor war stets bemüht, den Grad zwischen Fiktion und Realität zu bewahren. Aber ich finde, dass er gegen Ende immer fiktiver wurde. Das ist an sich nichts schlechtes, doch empfand ich das Ende zum Beispiel als zu abstrakt und an den Haaren herbeigezogen. Es war für mich nicht befriedigend, die Geschichte war meiner Ansicht nach zu abrupt zu Ende. Dennoch muss ich als positiv bewerten, dass es absolut nicht vorhersehbar war. Das ist für mich immer ein sehr wichtiger Kritikpunkt, wenn es um Bücher geht.

Dienstag, 4. April 2017

"Wild Cards 2 - Der Sieg der Verlierer" von George R. R. Martin

Seit über einem Jahr war sie eine Gefangene, ohne dass sie es gewusst hatte. Weitere sechs Monate später hatte er geschrieben: "Bei der Verlängerung der Lebensspanne eines durchschnittlichen Jungen haben wir bescheidene Fortschritte erzielt. Wenn für diese Arbeit mehr Ressourcen zur Verfügung stünden, könnte aus künftigen Gelegen nützliches Kapital geschlagen werden. Ebenso sollte die Probandin als biologischer Reaktor benutzt werden, bis wir die Pikdame zuverlässig unterdrücken können." Niobe presste ihre Kinder so fest an sich, dass diese aufkeuchten. Ein Reaktor? Mehr bin ich nicht? Eine Legefabrik? Ihr wollt aus meinen Kindern Waffen machen? Zoe schmiegte sich an ihre Mutter. Mom, was werden die mit uns machen? Es war kaum zu glauben, wie leise, eingeschüchtert und furchtsam sie klang. Niobe wusste keine Antwort darauf.

 
(Meine Rezension zu Band 1 findet ihr HIER.)

Seit den 40er Jahren breitete sich das "Wild Card Virus" auf der ganzen Welt aus. Jeden konnte es treffen. Dieses Virus bewirkte entweder, dass man zu einem Ass wurde und somit unglaubliche Fähigkeiten erlangte, oder aber man wurde zum Joker und musste mit Missbildungen leben. Zog man jedoch die Pikdame, waren die Überlebenschancen so gut wie nicht vorhanden.
Die Welt hat sich somit komplett geändert. Nach der Fernsehshow American Hero (aus Band 1) hat es einige Charaktere in die Politik und in den Krieg gezogen. Sie sind Mitglieder eines sogenannten Komitees geworden und versuchen gemeinsam, Wirtschaftskrisen, Kriege, Naturkatastrophen
und böse Asse und Joker zu bekämpfen. Wieder stehen die arabischen Länder und der Konflikt mit dem Kalifat im Mittelpunkt. Das Komitee wird dort hingeschickt,  um den Kalten Krieg, die Kontrolle von Öl und Terroranschläge zu verhindern. Als zusätzlich in Texas noch eine Bombe explodiert, gehen viele von einem Anschlag, einer Atombombe aus. Doch als mitten in der Explosion der unversehrte 10jährige Drake gefunden wird, nimmt alles noch einen dramatischeren Lauf. Denn als das Kommitee und die UNO dort eintreffen um den Jungen zu beschützen, der ganz offensichtlich ein Ass ist, ist dieser verschwunden. Wo ist dieser Junge, der eine lebende Bombe ist? Was, wenn er in die falschen Hände gerät?


Meine Meinung zu dem Buch:
Wie im ersten Band sind die einzelnen Kapitel jeweils aus der Sicht eines anderen Asses. Das kann ein wenig verwirrend sein, wenn von Charakter zu Charakter gesprungen wird. Es wird zwar eindeutig gekennzeichnet, um wen es sich in welchen Kapitel handelt, jedoch fiel es mir schwer, von einer Situation in die nächste umzuschalten. In einem Kapitel geht es um einen Charakter, der sich gerade mitten in einem Krieg befindet und Schüssen ausweichen muss, in einem anderen Kapitel befindet sich ein Charakter widerum in einem ganz anderen Teil des Landes und versucht dort z.B. Menschen vor einem Hurrikan zu bewahren. Das kann wirklich etwas verwirrend sein und erschwert das flüssige Lesen am Stück leicht. Jedoch wird nach kurzer Zeit wenigstens deutlich, welche Charaktere wirklich wichtig sind, was ihre Aufgaben und ihre Stärken/Kräfte sind. Das erleichtert das Lesen dann doch wieder. Was mir am meisten an diesem Band gefiel, was der Schwerpunkt auf dem Jungen Drake. Immer wieder handeln Kapitel um die Geschehnisse rund um Krieg und Krisen außerhalb. Was jedoch wirklich klar herauskristallisiert wird, ist die Geschichte um den kleinen Jungen.  ACHTUNG, ES FOLGEN SPOILER:
Drake hat versehentlich seine komplette Heimatstadt ausgelöscht, weil er seine Ass-Kraft noch nicht beherrscht. Er wird von einer Art Forschungslabor, dem sogenannten BICC, für Wild Cards gefangen genommen, in dem auch viele andere Mutanten leben bzw. gefangen gehalten werden. Dort begegnet Drake zum Glück Niobe, die mütterliche Gefühle für ihn entwickelt und zusammen mit ihm fliehen will. Dieser Teil des Romans ist so gut geschrieben, dass man die Kapitel drum herum gerne etwas weniger ausgeschmückt hätte schreiben können. Die Kriegssituationen sind spannend geschrieben, aber oftmals etwas zu lang. Ich persönlich habe mich durch solche Kapitel schnell durchgewühlt um endlich lesen zu können, wie es mit Drake und Niobe weitergeht. Denn die beiden befinden sich nach ihrer Flucht aus dem BICC in großer Gefahr und werden gesucht. Der Roman an sich ist so komplex, dass es mir wirklich schwer fällt, darüber eine Rezension zu schreiben. Ich war während des Lesens häufig verwirrt, aber noch häufiger war ich gefesselt von der Spannung. Ich muss aber auch zugeben, dass mir der erste Band besser gefallen hat, da es mir hier im zweiten Band zu politisch und wirtschaftlich wird.

Samstag, 7. Januar 2017

"Das ferne Echo der Zeit" von Pamela Hartshorne

Ich schob den Laptop beiseite, schwang die Beine von der Couch und stand auf.
"Bess..."
Bei dem Flüstern zuckte ich erschrocken zusammen, und eine plötzliche Furcht schien das ganze Zimmer zu erfüllen. [...] Mir war, als würde sich bei dem Flüstern die Luft im Raum vor Kummer, Trauer und Angst förmlich verdichten. Ich hasste diesen Namen.
"Lass das", sagte ich laut, und vermied es, darüber nachzudenken, ob ich zu mir selbst sprach oder zu dem Zimmer.
Oder zu Hawise.
Unfähig mich zu rühren, starrte ich in den matten Spiegel über dem Kaminsims. Mein Gesicht war aschfahl und angespannt, meine Miene wie erstarrt.
"Ich bilde es mir ein", sagte ich laut. "Es passier nicht wirklich."
"Bess..." Erneut dieses Flüstern, doch schwächer jetzt. Ich holte zitternd Luft. Ich bildete mir das alles nur ein. Solange ich dies nicht vergas, war alles in Ordnung.
Aber als ich mich umdrehte, um meinen Laptop an mich zu nehmen, lag halb verborgen unter einem Kissen ein fauliger Apfel. Seine Haut wirkte bräunlich verfärbt und began bereits zu schimmeln. Ich schaute diesen Apfel lange Zeit an, sträubte mich, ihne in die Hand zu nehmen. Mir war bewusst, wie kindisch ich mich benahm. Vom Verstand her wusste ich, es konnte nicht der Apfel sein, den ich vermeintlich vergangene Nacht weggeworfen hatte, denn Letzterer war lediglich ein Produkt meiner Fantasie gewesen."


Langsam beginnt Grace, an ihrem Verstand zu zweifeln. Es kann nicht am Jetlag und den vielen Reisen liegen, dass sie ständig diese Illusinen aus der Sicht eines jungen Mädchens hat, das Hawise heißt. Es ist fast, als reise Grace in der Zeit viereinhalb Jahrhunderte zurück in den Geist von der Dienstbotin Hawise. Grace hat keine Kontrolle über die Illusionen. Es ist, als dränge sich das andere Mädchen von damals immer wieder in ihren Geist um ihr etwas zu zeigen. So erfährt Grace, was für grausame Dinge der jungen Hawise Ake damals widerfahren sind und was diese alles erleiden musste. Aber weswegen kann sie diese Dinge sehen, sogar fühlen? Wieso greift Hawise ständige auf den Geist von Grace zu? Und wieso hört Grace ständig dieses seltsame Flüster? Ohne es zu ahnen, bringt Grace dadurch ihr eigenes Leben in Gefahr. Kann sie sich retten oder wird ihr Leben so enden wie das von Hawise?

Meine Meinung zu dem Buch:
In erster Linie kann ich diesen Roman nur loben. Er ist sehr spannend, stellenweise etwas unheimlich und erzeugte bei mir einige Male Gänsehaut. Die beiden Hauptfiguren, Grace (aus unserem Jahrhundert) und Hawise (das Mädchen aus der Vergangenheit) werden wunderbar dargestellt. Dem Leser fällt es sehr leicht, sich ein Bild von beiden zu machen und bekommt einen sehr präzisen Einblick in die Gedanken und in den Charakter der Mädchen. Das Buch beinhaltet zudem historisch interessante Fakten, indem anhand von Hawise offengelegt wird, wie die Menschen damals lebten und wie es gesellschaftlich lief (die Autorin ist übrigens Historikerin). In der Geschichte merkt man sehr gut, wie Grace die Geschichte von Hawise am eigenen Leib nacherlebt.
Was ich an "Das ferne Echo der Zeit" bemängeln muss, ist die Art der Zeitsprünge zwischen Grace und Hawise. Es gibt keine eindeutigen Sprünge, keine neuen Kapitel wenn sich Grace wieder in der Geschichte von Hawise verliert. Das war für mich persönlich oft sehr verwirrend und hat mich kurz rausgebracht bis ich begriffen hatte, in welcher Zeit ich mich beim Lesen wieder befinde. Ich hoffe ihr versteht, wie ich das meine. Natürlich sorgt diese Art für viel Abwechslung und Überraschung, Spannung und unerwartete Wendungen. Das befürworte ich absolut! Trotzdem hat es mich beim Lesen sehr häufig gebremst. Bis auf diesen Punkt finde ich das Buch jedoch sehr gut! Wie schon erwähnt ist es sehr Spannend und aufregend! Es wird nie kitschig und die Handlungen sind quasi nicht vorhersehbar, was den Roman gleich viel verlockender macht. Der Roman handelt auf vielen emotionalen Ebenen, ermöglicht es, sich in die Charaktere einzufühlen und lässt den Leser an einigen Stellen doch angespannt dasitzen. Doch zum Ausgleich gibt es hinterher immer Stellen, die einem eine kurze "Atempause" ermöglichen. Ich werde dieses Buch auf jeden Fall wieder lesen.